Als ich neulich abends zu Hause auf meinem Sofa genüsslich das letzte Stück des zuckerfreien veganen Apfelkuchen verspeist habe, fragte ich mich in einem kurzen Augenblick, was früher so schwer daran war, auf Zucker zu verzichten. Täglich habe ich mir Süßes reingepfiffen, um mich danach erbärmlich zu fühlen und immer wieder und wieder zu bereuen, dass ich Weingummi oder Schokolade genascht habe. Ich habe zu jedem Zeitpunkt gewusst, dass Zucker schlecht ist, trotzdem hat mich das nicht davon abgehalten, irgendwelche Ausreden für mich zu finden, warum ich diese Dinge trotzdem essen muss. Ich habe mich selbst hintergangen. Und ich habe vor allem jene verteufelt, die keinen Zucker essen – in meinem Umfeld gab es allerdings kaum Menschen, die es mir nicht gleich taten. Hat man mir als Kind gesagt, dass ich kein zweites Stück Kuchen essen soll oder dass es nichts Süßes gibt, dann war ich nicht etwa dankbar dafür, im Gegenteil, ich war richtig sauer.
Dieses Verhalten lässt sich auf beliebig viele andere Situationen übertragen. Nicht nur aus der Kindheit, wenn die Eltern einen zum Lernen geschickt haben oder zum Zimmer aufräumen, wenn man früh ins Bett oder sich warm anziehen sollte. Auch heute hassen wir es noch, wenn uns jemand sagt, was gut für uns ist. Missionieren ist für uns ein Unwort. Da will mich einer zwingen etwas zu tun, nur weil derjenige von der Sache überzeugt ist – aber ich möchte das vielleicht gar nicht?
Unserem Umfeld zu erzählen, wie toll das ist, was man gerade macht oder für sich entdeckt hat und sie damit von der Sache überzeugen zu wollen, bringt nur in den allerwenigsten Fällen etwas. Nämlich nur, wenn wir sowieso schon einen ähnlichen Lifestyle leben. Erzählt mir jetzt eine Freundin, dass sie eine interessante Studie zum Thema Zucker gefunden hat und ich die dringend lesen soll, dann werde ich sie mir mit hoher Wahrscheinlichkeit anschauen. Erzählt sie mir aber ständig, dass sie jeden Tag drei Dosen Energydrink trinkt, weil man damit so toll wach bleibt und ich das unbedingt mal ausprobieren soll, dann werde ich das mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht testen.
Wodurch wird man also beeinflusst, wenn nicht durch Worte? Warum bringt es rein gar nichts, wenn ich meinen fleischessenden Freunden erzähle, wie schrecklich Massentierhaltung ist? Warum bekomme ich nur ein müdes Lächeln als Antwort, wenn ich euphorisch erzähle, dass ich viel mehr Power habe, seitdem ich keinen Zucker mehr esse? Sollte man nicht denken, dass alle Hurra schreien und die Süßigkeiten sofort in den Müll werfen? Sollte man nicht glauben, dass ihnen bei dem nächsten Stück Fleisch der Appetit vergeht, weil sie einsehen, dass sie ein Leichenteil auf dem Teller liegen haben? Sollte man. Ist aber nicht so. Meistens passiert sogar das Gegenteil. Dann erst recht.
Menschen verändern funktioniert nicht. Niemals. Ich wünsche mir das oft, weil ich davon ausgehe, dass mein Lebensstil der einzig richtige und vernünftige ist. Aber genau so denkt eben jeder Mensch. Und deshalb kann ich auf andere einreden, wie ich will. So wird sich rein gar nichts ändern. Irgendwann wird das Umfeld so genervt von den Vorträgen über das eigene ach so tolle Leben sein, dass sie keine Lust mehr haben zuzuhören. Und dann kommt das Schlimmste: Sie werden schon aus Prinzip nicht mehr versuchen irgendwas von dem umzusetzen, was man erzählt – auch, wenn sie es vielleicht gar nicht mal so verkehrt finden. Missionieren bringt also meistens nur das Gegenteil von dem, was man eigentlich erreichen wollten.
Es gibt einen besseren Weg und der lautet: Vorleben.
Ja wie jetzt? Ja! Du musst im Prinzip nichts tun, außer dein Leben leben. Denn nur dafür bist du verantwortlich – und zwar zu 100%. Wenn du etwas tust, was andere inspiriert – super! Dann werden diese Menschen vielleicht von dir lernen wollen. Sie werden dann eventuell auf dich zukommen und nicht andersherum. Wenn nicht, auch gut. Denn Menschen können sich nur entwickeln, wenn sie es selber tatsächlich wollen. Niemand kann einem dabei helfen. Niemand kann einem das abnehmen. Niemand kann dir eine Abkürzung zeigen.
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