Als ich das Haus verlassen will, zögere ich kurz, welche Jacke ich mitnehme. Ich greife zum Trenchcoat und binde mir vorsichtshalber den neuen Schal um. Der war ja eigentlich erst für Herbst. Draußen stell ich mit entsetzen fest, dass die ersten bunten Blätter schon gefallen sind. Ich stöpsel meine Kopfhörer in meine kalten Ohren. Es läuft The Temper Trap. Es regnet leicht. Es riecht nach Herbst. Es ist Herbst!
Also krempel ich meine Hose runter, binde den Schal ein bisschen fester und ziehe weiter. Meine Laune ist im Keller. Das ist am ersten gefühlten Herbsttag bei mir immer so. Kein Widerstand möglich. Ich komme auf der Arbeit an und schlender zu meinem Schreibtisch. Und jetzt heißt es: Kopf hoch, Zahnpastalächeln. Guten Morgen! Morgen! Na, alles gut? Ja bestens! Danke und selber? Ja alles super! Ich setze mich hin. Jetzt bloß nichts anmerken lassen. Gute Laune! Regenbögen und Einhörner! Denn das habe ich mein ganzes Leben lang geübt. Da kann man mir keine Schauspielschule das Wasser reichen. Wenn ich schlechte Laune habe, dann kann ich außerhalb meiner vier Wände der bestgelaunteste Mensch der Welt sein. Ich kann lächeln wie ein Honigkuchenpferd. Witze reißen wie ein erfolgreicher Comedian. Und ich strahle, als würde ich gerade aus der Nuklearhölle kommen. Aber, und darauf kommt es an, keiner fragt, warum ich so schlechte Laune habe. Denn ich habe ja nicht mal wirklich eine Antwort darauf.
Wieso haben wir eigentlich Winterblues? Wieso beginnt der bei mir schon im Herbst? Vielleicht weil alles so dunkel ist? Und kalt? Wieso bin ich müde und antriebslos? Wieso hab ich nicht mal Lust irgendwas mit meinen Freunden zu unternehmen? Wieso will ich dann einfach nur allein sein?
Also trotte ich nach der Arbeit nach Haus. Erledige noch schnell den Wocheneinkauf, damit ich heute bloß nicht noch einmal raus muss. Und dann setze ich einen Tee auf, mümmel mich auf die Couch, mache wieder Temper Trap an und lese ein Buch, das meine Laune teilt. Ich antworte brav auf Whatsappnachrichten und checke meine Mails. Anrufe wimmel ich unauffällig ab. Ich will allein sein! Eine Gefühlsmischung aus fast-weinen und von-mir-selber-genervt überkommt mich. Und jedes Mal fühlt es sich so an, als würde es nie wieder weggehen. Obwohl ich weiß, dass mit dem ersten Frühlingstag alles wieder so ist, als wär nichts gewesen. Aber jetzt muss ich abwarten. Und lachen üben.
Denn, wenn ich jetzt auf Next drücke, dann höre ich den Winterblues.