Das Spekulationsspiel

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Hey, wir machen heute Spieleabend. Yay! Ich bin raus! Kurz gesagt: Ich hasse Spiele. Egal ob Trinkspiele, Gesellschaftsspiele oder Kartenspiele. Das ist einfach nicht mein Ding. Manchmal kann ich mich noch für Tabu begeistern. Da muss man mich allerdings in einem ganz schwachen Moment erwischen.

Aber es gibt da ein Spiel, dem kann ich einfach nicht widerstehen. Das Spekulationsspiel.

Es ist ganz einfach und wunderbar. Du kannst es jederzeit spielen. Immer und überall. Zusammen oder allein. Stundenlang oder nur kurz zwischendurch. Und es funktioniert wie folgt: Setz dich in ein Café, in die U-Bahn, in die Uni. An irgendeinen öffentlichen Platz. Auch dein Fenster reicht schon. Es ist besser als Fernsehen! Versprochen! 

Pick dir eine Person raus. Schau sie dir genau an. Wo geht sie wohl gerade hin? Wo kommt sie her? Was macht sie beruflich? Was studiert sie? Ist sie verheiratet? Hat sie gleich ein Date? Das erste? Oh nein, sie wartet jetzt aber schon mindestens 15 Minuten und guckt ziemlich oft auf ihr Handy. Sie wird doch hoffentlich nicht versetzt. So ein Arschloch! Ach, guck mal. Da kommt er. 20 Minuten zu spät. Wird ja auch Zeit. Los schrei ihn an, schrei ihn an. Ah sie lächelt. Sagt wahrscheinlich, dass sie auch gerade erst angekommen ist. Also erstes Date. Und zack, ist man mitten drin. Mitten im Spekulationsspiel.

Zu zweit macht das ganze Spiel noch mehr Spaß. Dann kann man ganze Dialoge nachsprechen. Sich hochschaukeln. Sich Szenen bis ins kleinste Detail ausmalen. Sich nach Tagen noch fragen, was wohl aus dem Pärchen geworden ist. Ob sie sich wohl nochmal wiedersehen? Waren es vielleicht nur Freunde?

Das tolle an dem Spiel ist, dass es keine Verlierer gibt. Also genau das richtige für mich. Dem schlechtesten Verlierer aller Zeiten.

Aber einen Haken gibt es dann doch. Du wirst niemals erfahren, ob du mit deinen Vermutungen und Spekulationen recht hattest. Was die Menschen, die du beobachtest, wirklich vorhaben. Wohin sie fahren. Wie sie sich fühlen. Ob sie glücklich sind. Wo sie gerade im Leben stehen.

Aber das muss man vielleicht auch gar nicht. Vielleicht reicht es auch einen minikleinen Einblick ins Leben einer völlig fremden Person zu bekommen. Einfach so. Als würde man ein Buch aufschlagen und nur eine einzige Seite lesen, es dann wieder zuklappen und für immer wegstellen. Und der Rest passiert dann im Kopf. Es macht einen ein bisschen wahnsinnig. Aber irgendwie gefällt es einem auch die Geschichte selber weiterzuschieben. So wie man sie gerne lesen würde.

Und so entstehen im Café, in der Bahn und am Fenster viele kleine Geschichten die genauso schnell wieder verschwinden, wie sie entstehen.

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