Heute ist es soweit. Heute kommen wir nach 10 Jahren alle wieder zusammen, um unseren ehemaligen Mitschülern zu zeigen, was tolles aus uns geworden ist. Mütter, Väter, Doktoren, Wissenschaftler und verblüffend viele Lehrer. So viel weiß ich zumindest schon von Facebook. Denn das Wichtigste an einem Klassentreffen ist: Intensive Recherche und Vorbereitung!
Den gleichen Fehler wie vor fünf Jahren mache ich nämlich nicht noch einmal. Naiv und ohne irgendeine interessante Story im Ärmel bin ich zum alten Schulhof spaziert, um dann festzustellen, dass es allen überdurchschnittlich gut geht. Bereitwillig habe ich mir detaillierte Geschichten über schmerzhafte Geburten angehört. Habe nach dem fünften Verlobungsring immer noch brav gelächelt und beglückwünscht. Habe die Not-bad-Miene aufgesetzt, wenn mir jemand vom abgeschlossenen Studium erzählt hat.
Und dann schwenkte der Spotlight auf mich. Wie geht es dir denn überhaupt? Ääääh mir? Ja super. Also, ich bin zwar frisch getrennt, aber mir geht’s schon wieder TOTAL gut! Und das Studium. Ja, das dauert noch ein bisschen. Also ich häng noch im Bachelor. Aber ich war ja auch im Ausland. Ja genau Erasmus. Ach das habt ihr auch alle gemacht? Und seid trotzdem schon fertig? Verstehe! Ach und zwischendurch noch ein Kind bekommen. Verstehe. Doktorarbeit? Ahja. Interessant. Denke ich auch noch drüber nach. Und naja. Ich bin erst mal in Bochum geblieben. Aber das soll NATÜRLICH nicht für immer so bleiben. Ich äääh finde nur so viele Städte toll und kann mich nicht entscheiden wohin ich soll.
Wieso wollen wir vor anderen immer prahlen? Wieso können wir nicht zugeben, dass es gerade vielleicht nicht so gut läuft? Wieso können wir nicht sagen, dass wir das Kindergeschrei zuhause nicht mehr hören können und lieber mit dem Weltenbummler tauschen würden? Wieso können wir uns nicht eingestehen, dass wir mit dem Studium noch nicht fertig sind, weil wir unseren faulen Arsch nicht hochkriegen?
Und das ganze Theater für Leute, die unsere größten Niederlagen doch schon längst mitbekommen haben. Die uns getröstet haben, als wir wegen der 5 in Mathe nicht nach Hause gehen wollten. Die uns in Schutz genommen haben, damit wir nicht noch ein Defizit in Spanisch bekommen. Die uns die Hausaufgaben zum Abschreiben zugesteckt haben, weil wir bis morgens noch feiern waren und direkt zur Schule getorkelt sind.
Aber vielleicht wollen wir gerade deshalb zeigen, dass wir endlich vernünftig geworden sind. Dass wir aus den Fehlern gelernt haben. Dass wir jetzt eben erwachsen sind.
Und deshalb kann ich nur hoffen, dass mein 10-Jahres-Plan heute Abend aufgeht und ich nach dem zweiten Bier nicht zugebe, dass ich noch nicht alles erreicht habe, was ich mir vorgenommen habe. Und, dass ganz bestimmt nicht alles perfekt ist.